Zum Film „Creed“ von Ryan Coogler (für meine Tante Gertrud)
Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, daß ich eines Tages mal im Kino sitzen und mir ansehen würde, wie Rocky Balboa altersschwach, depressiv und mit Chemo-Glatze kotzend über einer Kloschüssel hängt. Vorbei die Zeiten, als der Champ noch sich selbst und die Sowjetunion gleich mit verändern konnte, Clubber Lang sein Großmaul stopfte und die Schweinehälften in der Kühlhalle das Fürchten lehrte.
Sein letzter Kampf – er findet gänzlich ohne Publikum statt und ist bar jeder Eitelkeiten. So liegt Rocky nun schließlich doch auf den Knien – „die Zeit“, so sagt er in einem der vielen prägnanten Oneliner in diesem Film, „die Zeit knockt uns am Ende alle aus.“ Und es ist diese unverhohlene Sentimentalität, welche hier und heute im Jahr 2016, knapp vierzig Jahre nach dem Start des Franchise, dem Film eine hohe kathartische Qualität verleiht. Dem Jahr, welches schon zu Beginn den Tod von Han Solo im neuen Star Wars-Film gesehen hat. Und wer weiß, wer noch alles dran glauben muß. Das Jahr ist ja noch jung. Bald kommen Batman und der grimmig dreinschauende neue Superman ins Kino und bekämpfen sich gegenseitig – warum eigentlich? Na, wegen der inneren Dämonen. Helden sterben, es leben die gebrochenen Charaktere.
Allein schon deshalb ist „Creed“ eine Ausnahmeerscheinung im aktuellen Filmgeschehen. Rocky bleibt Held, weil er nicht klug, sondern bauernschlau ist. Weil bescheiden und auch etwas weichgeklopft, so bar jeder Befähigung zum Bösen, fast schon an der Grenze zur Debilität. Sein düsterstes Geheimnis ist, daß er am Grab seiner Frau Selbstgespräche führt.
In „Creed“, der von Rechts wegen „Rocky 7“ hätte heißen müssen, aber nicht so heißt, um Verwechslungen mit dem Sternenkrieg (Episode 7) zu vermeiden – dieser Streifen also erzählt den Werdegang seines Helden Rocky so realistisch konsequent zuende, daß es körperlich einmal mehr so richtig weh tut. Dabei steht eigentlich der Sohn von Appollo Creed im Mittelpunkt. Ein Vater-Sohn-Konflikt, der darum ins Leere läuft, weil der Vater schon vor der Geburt gestorben ist und das „Need“ von Adonis Creed allein darin besteht, zu beweisen, daß er – das Resultat eines Seitensprunges – kein „Fehler“ war, wie alle behaupten. Rocky kann ihm da nur insofern helfen, als daß er ihm mit praktischen Tipps („Siehst du den Kerl da im Spiegel – das ist dein ärgster Feind.“) und langer Berufserfahrung zur Seite steht. Wirklich interessant an der Geschichte des Aufsteigers im Schatten des großen Vaters ist eigentlich nur der Kontrast zum gescheiterten Rocky, der den angestrebten Ruhm längst hinter sich hat. In seinem Scheitern offenbart sich ein so großer Nihilismus, daß jeder Siegeswille verpufft. Wofür der ganze Ruhm, wozu das ganze Streben.
„Inzwischen ist alles, was ich einmal hatte, Vergangenheit.“ sagt Rocky an einer anderen Stelle und holt ein Foto von sich und seinem Sohn heraus. Es zeigt Stallone und seinen echten, im Jahr 2012 verstorbenen Sohn Sage, der damals, im ungeliebten „Rocky V“ an seiner Seite spielte.
Dieser Sohn, so sagt Rocky, lebt jetzt in einer Stadt namens Vancouver, wo es wahrscheinlich sehr schön sei. Jedenfalls läßt sich sein Sohn nicht mehr blicken.
Das Wissen um die Wahrheit hinter dem Foto und die damit verbundene Doppelbödigkeit – vielleicht lügt auch Rocky über das wahre Schicksal seines Sohnes – und der Anblick des todtraurigen Stallone sind einer jener seltenen Filmaugenblicke, wo die Fiktion eine Empfindung in all ihrer Wahrhaftigkeit voll und ganz sublimiert. Am Ende entscheidet sich dann auch Rocky gegen das Dahinsterben. Auf Geheiß seines Schützlings („Wenn ich kämpfe, dann mußt du das auch tun!“) nimmt er einen Kampf auf, den noch kein Mensch je gewonnen hat. Nichteinmal durch einen Überraschungsknockout in der zwölften Runde. Aber wir, die Zuschauer, geben uns gern der Illusion hin, daß es doch klappt. Daß der menschlichen Willenskraft irgendwie keine Grenzen gesetzt sind. Immerhin haben wir genau dafür eine Karte gelöst.
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